Briefwechsel Georg Moritz Lowitz


Kurzinformation zum Brief  
Autor Euler, Leonhard (1707-1783)
Empfänger Lowitz, Georg Moritz (1722-1774)
Ort Berlin
Datum 8. Juni 1750
Quelle Göttingische Zeitungen von gelehrten Sachen, Zweite Zugabe zum Junius (8. Juni) 1750, S. 475-477[1]
Hinweis Euler beantwortet hier die Frage, die ihm Lowitz im 2. Avertissement in den §§ 46-53 gestellt hatte.


Auszug eines Briefs von Hrn. Euler über die
Vorstellung der Sternbilder auf der
Himmelskugel.

Was insbesondere die Vorstellungen der gewöhnlichen Sternbilder auf der Himmelskugel betrifft, so scheinet mit die von E. H. E. vorgeschlagene Art alle Vorteile zu haben, welche man immer verlangen kan. Weil sich aber E. H. insbesondere auf mein Gutachten berufen,[2] ungeachtet solches in dieser Sache von gar keinem Gewicht sein kan, so erfordert doch meine Pflicht, Denenselben meine Gedanken hierüber umständlich zu entdecken.

Erstlich müssen ohne Zweifel alle Sterne dergestalt auf die Oberfläche der Kugel gesetzt werden, daß wenn die Kugel sich in ihrer gehörigen Stellung befindet, alle Linien, so aus dem Centro der Kugel durch einen jeglichen gezeichneten Stern gezogen werden, wenn man sich dieselbe unendlich verlängert vorstellet, zugleich durch die wirklichen Sterne durchgehen. Von dieser Regel kan man nicht abweichen, ohngeachtet wir nach derselben die Sterne, so wir am Himmel zur Rechten erblicken, auf der Oberfläche der Kugel zur linken Hand suchen müssen. Folglich ist dieses schon eine ausgemachte Sache,

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daß derjenige, welcher sich solcher Himmelskugeln bedienen will, zu dieser Veränderung sich angewöhnen muß. Hieraus ergiebt sich nun von selbsten, wie der Umfang aller Sternen=Bilder und ihrer Theile auf der Kugel gezeichnet werden muß, indem alle Puncte, durch welche dieselbe gehen soll, bekannt sind. Die gantze Frage kömmt also nur auf die innre Ausfüllung dieser Bilder an. Als wenn es heißt, daß sich ein Stern in dem Angesicht eines Bildes befindet, so stellet man sich dieses Bild dergestalt an dem Himmel gemahlt vor, als wenn wir solches von vornen anschaueten; das Hintertheil dieses Bildes uns aber gäntzlich unsichtbar wäre. Um nun dieses auf der Oberfläche einer Kugel vorzustellen, so muß meiner Meinung nach diese Hauptregel beobachtet werden, daß auf der Kugel nichts anders gezeichnet werde, als wir am Himmel entweder sehen, oder uns zu sehen einbilden: weil wir uns nun in dem erwehnten Fall das Angesicht des Bildes am Himmel zu sehen einbilden, so muß auch auf der Kugel das Angesicht und nicht das Hintertheil des Kopfs gemacht werden. Um dieses deutlicher darzuthun, so bemercke ich, daß man sich die Sternen=Bilder am Himmel, nicht als körperliche Figuren, sondern als blosse gleichsam auf Glas gemachte Zeichnungen vorstellen müsse, dergestalt, daß ein Bild, von welchem wir den Rücken sehen, nicht einmahl eine Brust hat, wenn solches auch von der andern Seite gesehen würde. Stellt man sich alle Stern=Bilder als auf Glasscheiben am Himmel gemachte Figuren vor, welches meiner Meinung nach die eigentliche Vorstellung ist, so fält aller Zweifel in Ansehung der Zeichnung dieser Bilder auf dem Globo von selbsten weg. Es ist zwar wahr, daß auf diese Art, die rechte Seite eines am Himmel sich eingebildeten Bildes, auf dem Globo die lincke wird. Allein wenn man sich die Oberfläche auch als durchsichtig vorstellet, so würden aus dem Centro der Kugel alle Bilder eben so wie am Himmel erscheinen. Es kömt also nur darauf an, ob man die=

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jenige Seite eines Bildes die rechte oder lincke nennen will, welche man sich am Himmel zu sehen einbildet, oder welche man würcklich auf der Kugel sieht: da nun diese Benennung in sich gleichgültig ist, so sehe ich nicht, warum man sich an die daraus entstehende Verkehrung stossen wolte, insonderheit da die Sterne selbst davon nicht befreyet werden können. Dieses ist nun eben die Art welche E. H. allen andern mit dem grösten Recht vorziehen.


Fußnoten

  1. Dieser Brief ist auch abgedruckt in: Juškevič, Adolf P.; Winter, Eduard: Die Berliner und die Petersburger Akademie der Wissenschaften im Briefwechsel Leonhard Eulers. Band III, Teil 3. Berlin: Akademie-Verlag 1976, S. 214-215.
  2. 1749 brachte Lowitz sein Second Avertissement sur les Grands Globes Terrestres Et Celestes heraus. Darin schrieb er auf S. 30, dass er über ein Problem mit der Himmelskugel erst noch Euler konsultieren und erst auf dessen Entscheidungen hin seine Maßnahmen treffen werde.